Wer sich etwas in der buddhistischen Welt umsieht, wird schnell den Eindruck gewinnen, dass Buddhisten in unterschiedlichen Ländern und Kulturen deutlich unterschiedliche Dinge tun. Dieser Eindruck entspricht weitgehend der Realität.
Der Grund für diese scheinbare Diskrepanz liegt im Wesen des Buddhismus an sich und in seiner Entstehungsgeschichte.
Der Gautama Buddha selbst lehrte seine Schüler schon zu Lebzeiten, seine Lehre nicht als in Stein gemeißeltes Dogma zu verstehen, sondern als Buddhas Hilfestellung für eines jeden Schülers eigenen Weg zu dessen persönlichem dauerhaften Glück.
Diesen Weg muss ein jeder Schüler selbst bewältigen und ein jeder individuelle Weg unterscheidet sich von denen der anderen. Das bringt es mit sich, dass ein jeder Schüler seine eigenen Strategien zur Bewältigung seines eigenen Weges entwickelt, immer basierend auf den von Buddha überbrachten Grundprinzipien. Und wenn ein Schüler eine für sich hilfreiche Strategie entwickelt hat, so soll er diese gerne seinen Mitschülern mitteilen.
Dadurch hat sich der Buddhismus beständig weiter entwickelt. Die ursprüngliche Lehre Buddhas wurde kontinuierlich durch die Erkenntnisse seiner besten Schüler erweitert, über Jahrhunderte, ja Jahrtausende hinweg.
In manchen buddhistischen Schulen konzentriert man sich heute immer noch stark auf die ursprüngliche Lehre Buddhas, so wie sie schriftlich überliefert wurde, in anderen Schulen sind dagegen die Erkenntnisse seiner späteren Schüler stark in den Vordergrund getreten.
Zudem hat sich die Lehre Buddhas fast überall, wohin sie im Lauf der Jahrhunderte getragen wurde, mit der dort vorherrschenden örtlichen Kultur und Religion vermischt.
Der in Deutschland recht präsente tibetische Buddhismus entstand z.B. erst ab dem sechsten Jahrhundert nach Christus, rund tausend Jahre nach Buddhas Tod. Zudem wurde Buddhas ursprüngliche Lehre in Tibet mit vielen Elementen der dort vorherrschenden Kultur und Religion angereichert.
Das Resultat ist ein tibetischer Buddhismus, der sich in seinen Ritualen und Methoden stark vom thailändischen Buddhismus, dem japanischen Buddhismus, oder dem Buddhismus in Sri Lanka unterscheidet. Global betrachtet, stellen die tibetischen Buddhisten sogar eine relativ kleine Splittergruppe in der buddhistischen Welt dar.
Den „einen“ Buddhismus gibt es nicht. Es gibt viele verschiedene Strömungen, die meist stark mit der Kultur ihrer jeweiligen Heimatländer verwoben sind. Daher gewinnt man leicht den Eindruck, dass die Buddhisten in unterschiedlichen Ländern verschiedene Dinge tun.
Bei aller Verschiedenheit basieren jedoch die Praktiken aller buddhistischen Schulen auf den vom Gautama Buddha etwa 500 Jahre vor Christus formulierten Erkenntnissen über den Weg zur Erleuchtung.
Das ist es, was Buddhisten überall in der Welt tun. Sie versuchen ihr Bewusstsein bis hin zur Erleuchtung zu entwickeln, um auf diesem Weg frei von Leiden zu werden und aus dem Geburtenkreislauf auszuscheiden. Dieses Ziel eint alle Buddhisten. Die bei der Verfolgung dieses Zieles angewandten Methoden unterscheiden sich deutlich.
Eine ganz zentrale Stellung in jeder buddhistischen Schule nehmen die sogenannten vier edlen Wahrheiten ein. Diese stehen im Zentrum der ältesten überlieferten Lehrrede des Gautama Buddha.
In dieser hat Buddha formuliert, auf welche Weise das Leiden in unserem Leben entsteht. Sie lauten:
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Erste Wahrheit
Im Geburtenkreislauf gibt es kein Leben, das frei von Leiden ist.
Zweite Wahrheit
Alles Leiden lässt sich im Wesentlichen auf drei Wurzeln zurückführen. Diese sind:
1. Gier bzw. Anhaftung, sprich „Ich will!“
2. Hass bzw. Ablehung, sprich „Ich will nicht!“
3. Verblendung bzw. Unkenntnis
Dritte Wahrheit
Das Leiden kann jedoch vollständig und dauerhaft beendet werden, indem man den Zustand der Erleuchtung erreicht und damit aus dem Geburtenkreislauf ausscheidet.
Dies bezeichnet man als das Erreichen des Nirvana. Wer das Nirvana erreicht hat, ist dauerhaft glücklich.
Vierte Wahrheit
Der Weg zur Befreiung von allem Leiden, dem Nirvana, ist der sogenannte achtfache Pfad. Auf diesen gehen wir später ein.
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Kurz gesagt, ist das Ziel einer jeden buddhistischen Praxis das Überwinden des menschlichen Leids, oder anders formuliert, das Erreichen des dauerhaften Glücks. Dies gelingt, indem wir zunächst verstehen, auf welche Weise unsere Unzufriedenheit entsteht.
Verursacher unseres Leids sind typischerweise unsere Gedanken. Dessen müssen wir uns zunächst bewusst werden. Unser Schmerz entsteht im Gehirn.
Wenn wir dies verstanden haben, dann können wir im nächsten Schritt unsere Denkmuster und Handlungsmuster dahingehend ändern, dass die Entstehung von Leid vermieden wird.
Doch was meint denn Buddha eigentlich, wenn er von Leid spricht?
Alle Formen der Unzufriedenheit, Trauer, Angst, Depression, Wut und Hass, etc.
Buddhas Lehre zeigt uns, wie wir Schritt für Schritt all diese Formen des Leids überwinden können, bis hin zur völligen Befreiung vom Leiden, dem Erreichen des Nirvana.
Die Lehre Buddhas entspricht also keiner klassischen Religion, in deren Fokus Götter und himmlische Wesen stehen. Im Zentrum der buddhistischen Philosophie steht der Mensch selbst.
Betrachten wir die vier edlen Wahrheiten etwas detailierter.
Die in der ersten Wahrheit formulierte Erkenntnis, dass es (im Geburtenkreislauf) kein Leben ohne Leiden geben kann, empfinden manche Zuhörer bei der ersten Konfrontation mit Buddhas Lehre als provokativ, sie werfen dem Buddhismus vor, eine durch und durch negative Weltsicht zu vertreten.
Auf Nachfrage konnte aber keiner unserer Zuhörer je bestätigen, dass er oder sie im Leben noch nie gelitten hätte.
Die Schüler Buddhas sind sich jedenfalls sicher, dass das Leiden erst mit dem Erreichen des Nirvana ein Ende hat.
Ein wichtiges Detail der ersten edlen Wahrheit liegt in Buddhas Verweis auf den Geburtenkreislauf. Dieser Kreislauf beschränkt sich nämlich keineswegs nur auf das irdische Leben (siehe http://tempel-devi.de/wie-ist-das-mit-wiedergeburt-karma-und-nirvana/).
Wer auf Erden ein redliches Leben führt, kann z.B. auch im Himmel wiedergeboren werden. Buddha sagt aber diesbezüglich deutlich, auch im Himmel gibt es Leiden. Dieses hat die selben Wurzeln wie das irdische Leid. Auch Engel können unzufrieden sein.
Dieses Detail stellt einen elementaren Unterschied zu den gängigen Religionen dar, in denen der Eintritt in den Himmel als das höchste und erstrebenswerteste Ziel gilt. Buddhisten streben nach dem Nirvana, der Himmel ist eine Etappe auf dem Weg dorthin.
Die zweite edle Wahrheit zeigt uns, auf welche Weise unser Leid ensteht. Daher ist sie von ganz zentraler Bedeutung innerhalb der buddhistischen Philisophie.
Die erste der drei Wurzeln des Leids ist die Gier, in der buddhistischen Literatur auch oft als Anhaftung bezeichnet.
Gier bzw. Anhaftung lassen sich auch gut durch die beiden Worte „Ich will“ beschreiben. Hier ist es wichtig, zu betonen, dass unsere Gier (unser „Ich will“) vor allem auch die Wurzel unseren eigenen Leids ist, obgleich sie natürlich auch in Leid unserer Mitmenschen resultieren kann. Dabei führt unser „Ich will“ nicht immer und nicht automatisch zur Entstehung von Leid. Wenn wir dauerhaft glücklich werden wollen, ist es notwendig zu erkennen, unter welchen Umständen und auf welche Weise unser „Ich will“ bzw. unsere Gier uns Schmerz verursacht.
Das ist ein ganz zentraler Punkt: die Schüler Buddhas richten ihre Aufmerksamkeit an erster Stelle nicht auf ihre Umwelt sondern auf sich selbst, auf ihr geistiges Innenleben.
Buddhismus ist Selbstbetrachtung.
Die erste Wurzel des Leids ist die Gier.
Wann führt uns unsere Gier, unser „Ich will“ denn ins Leid?
Zum Beispiel, wenn wir nicht kriegen was wir begehren und wir mit diesem Umstand nicht umgehen können.
In unserer westlichen Gesellschaft entsteht dabei unser Leid eher selten durch unsere Gier nach materiellen Gütern.
Wir wollen geliebt werden, wir wollen Komplimente und Aufmerksamkeit bekommen, wir wollen gerecht behandelt werden, wir wollen von unseren Mitmenschen all das bekommen, was wir glauben verdient zu haben…
Und dann ist da noch unser Verlangen nach angenehmen sinnlichen Erfahrungen. Wir wollen Spaß haben, wir wollen schöne Orte sehen, wir wollen gut essen, wir wollen Sex haben, etc.
Und natürlich möchten wir attraktiv aussehen, schlank sein, schönes Haar, weiße Zähne, eine makellose Haut haben.
Werden diese Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt, so kann dies zu ganz erheblicher Unzufriedenheit, also zu Leid, führen.
Konstruieren wir ein Beispiel:
Wir sind berufstätig und unser Chef betraut uns mit einer für ihn wichtigen Aufgabe. Da wir ja wissen, dass die Angelegenheit dem Chef wichtig ist, geben wir uns ganz besonders viel Mühe, machen Überstunden, arbeiten vielleicht sogar am Wochenende, alles damit der Chef zufrieden ist…
Dann ist es endlich soweit, wir präsentieren dem Chef unser Ergebnis, in der Hoffnung, vielleicht sogar Erwartung, für unser großes Engagement belohnt zu werden.
Doch dann passiert das Gegenteil, der Chef hat offensichtlich schlechte Laune und lässt diese an uns aus. Er zeigt sich mit unserer Arbeit unzufrieden, behandelt uns ungerecht, brüllt uns an und spricht abfällig über uns, vielleicht sogar noch in Anwesenheit unserer Kollegen.
Wie fühlen wir uns nach diesem Treffen mit dem Chef?
Vermutlich ist da die ganze Palette leidvoller Emotionen.
Wut und Hass, weil der Chef sich so unmöglich benommen hat. Frustration, weil wir nicht die unserer Meinung nach angemessene Wertschätzung erfahren haben, und natürlich Angst, dass sich die für uns schmerzvolle Erfahrung wiederholt.
In der klassischen europäisch – westlichen Sichtweise wäre hier der Chef das Problem. Es ist nicht richtig seine Angestellten zu demütigen. Die gängigen Lösungsansätze würden darauf abzielen, dem Chef klar zu machen, dass er sich falsch verhält. Wenn alle Bemühungen zur Verbesserung des Chefs scheitern, würde man einen Wechsel des Arbeitgebers empfehlen, in der Hoffnung woanders einen Vorgesetzten zu finden, der bessere Manieren hat.
Buddha würde sagen, das Problem ist nicht der Chef, sondern unser Unvermögen damit umzugehen, dass unsere Erwartungen an den Chef von ihm nicht erfüllt werden. Wir haben erhofft, Wertschätzung zu erfahren und wurden stattdessen geprügelt. Damit können wir nicht umgehen, das Resultat ist Leid.
Wenn unsere Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt werden, so kann dies dazu führen, dass wir leiden.
Nun wäre es aber falsch zu denken, um uns vom Leid zu befreien, müssten wir alle Wünsche ablegen. Das wäre ausgesprochen töricht.
Es ist grundsätzlich nicht falsch, Wünsche zu haben. Tatsächlich gibt es sehr sinnvolle und hilfreiche Wünsche. Wir müssen aber lernen damit umzugehen, dass sie eventuell nicht erfüllt werden. Wir sollten am besten niemals erwarten, dass das eintritt, was wir uns wünschen.
Gleichzeitig sollten wir uns aber trotzdem nach Kräften bemühen, unsere Wünsche wahr werden zu lassen (wenn es sich um hilfreiche Wünsche handelt).
Es gibt allerdings auch schädliche Wünsche (Rachepläne, etc.), von denen wir uns grundsätzlich besser trennen sollten, da sie unabhängig davon ob sie in Erfüllung gehen, ins Leid führen, weil sie z.B. Wut und Hass in uns wachsen lassen.
Kommen wir zu unserem Beispiel zurück, der schmerzhaften Begegnung mit dem Chef.
Buddha würde sagen, es wäre dumm zu versuchen den Chef zu ändern, diesbezüglich gibt es keinerlei Erfolgsgarantie. Unser Einfluss auf den Chef ist sehr begrenzt, wir haben ihn nicht in der Hand. Wenn der Chef sich nicht ändern möchte, dann gibt es für uns keine Chance ihn zu ändern. Die einzige Person die wir völlig in der Hand haben, das sind wir selbst. Wenn wir selbst uns ändern wollen, so kann uns dies auch mit Sicherheit gelingen. Anstatt zu versuchen, die Welt um uns herum zu ändern, ändern wir besser uns selbst. Das ist die Lehre Buddhas.
Angewandt auf unser Beispiel würde dies bedeuten, dass wir uns zwar wünschen dürfen, vom Chef für unser Engagement belohnt zu werden, wir sollten aber keinesfalls enttäuscht sein, wenn unser Wunsch nicht erfüllt wird. Wenn wir unsere Arbeit präsentieren, sollte die Reaktion des Chefs (egal wie sie ausfällt) keine anhaltenen Emotionen in uns hervorrufen, wir sollten stattdessen ganz sachlich versuchen aus der Situation lernen.
Wenn uns der Chef lobt, sollten wir anschließend nicht mit stolzgeschwellter Brust durch die Firma laufen und uns für den Größten halten, wir sollten uns den Kollegen nicht überlegen fühlen, weil wir gerade Lob erhalten haben. Wir sollten das Lob vielmehr annehmen, aber auch gleich wieder loslassen, einfach sachlich zur Kenntnis nehmen, dass wir offenbar unsere Arbeit gut ausgeführt haben und uns das dabei gelernte vor Augen führen.
Im Fall, dass der Chef Unzufriedenheit mit unserer Arbeit äußert, sollten wir nicht mit anhaltender Wut, Trauer oder Angst darauf reagieren.Wenn solche Emotionen auftreten, sollten wir sie schnellstmöglich loslassen, wir verlieren nichts wenn wir sie gehen lassen.
Wir sollten uns aber schon fragen, ob die Unzufriedenheit des Chefs nicht vielleicht doch sachlich begründet ist. Gibt es hier vielleicht etwas zu lernen?
Buddha sagt, es sind nicht unsere Freunde, die uns am meisten dabei helfen unser Leid zu überwinden, es sind die Konfrontationen mit unseren Feinden, aus denen wir diesbezüglich am meisten lernen können.
Ein wichtiger Punkt muss hierzu noch erwähnt werden.
Wir haben festgehalten, das Verhalten des Chefs sollte keine dauerhafte emotionale Reaktion bei uns hervorrufen, egal wie sie ausfällt.
Kritiker werfen dem Buddhismus deswegen vor, er sei darauf ausgerichtet, jede Freude aus dem Leben zu verbannen und den Mensch zu einer gefühllosen Maschine zu machen.
In den Augen dieser Kritiker besteht der Sinn des Lebens nämlich gerade darin, seine angenehmen Aspekte maximal zu genießen, das Leben wäre andernfalls in ihren Augen sinnlos.
Die angenehmen Erfahrungen, in deren Genuss sie aber den Sinn des Lebens suchen, sind grundsätzlich vergänglich und gehen immer Hand in Hand mit dem Leid. Zwischen den Höhepunkten liegen Leidensphasen. Das hat der Gautama Buddha sehr gut erkannt.
Vorübergehende angenehme Emotionen ermöglichen kein dauerhaftes Glück.
Wer dauerhaftes Glück erreichen will, der muss sich abgewöhnen, die vorübergehenden angenehmen Emotionen bewusst zu genießen und daran festzuhalten. Wer die angenehmen Erfahrungen loslassen kann, wird auch frei vom Leid.
Bevor wir uns mit der zweiten Wurzel des Leids beschäftigen, sei noch eines erwähnt: unser „Ich will“ führt keineswegs nur dann ins Leid, wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden.
Unsere Gier kann zum Beispiel auch dann enormes Leid verursachen, wenn wir letztenendes bekommen, was wir uns in den Kopf gesetzt hatten.
Dies geschieht zwangsläufig dann, wenn wir „einen Pakt mit dem Teufel eingehen“, um unsere Ziele zu erreichen.
Wenn wir anderen Lebenwesen bewusst schaden, oder dies auch nur billigend in Kauf nehmen, um unsere persönlichen Ziele zu erreichen, dann weicht das wirkliche Glück in unerreichbare Ferne und es wachsen Angst, Missgunst und Hass.
Kommen wir nun zur zweiten Wurzel des Leids.
Die zweite Wurzel des Leids ist die Ablehnung bzw. der Hass.
Beides lässt sich auch treffend durch die drei Worte „Ich will nicht“ charakterisieren, dem Gegenteil des „Ich will“.
Nach unserer kleinen Abhandlung über die Gier ist der Leid verursachende Mechanismus hier vielleicht schon etwas leichter ersichtlich.
Obwohl Gier und Ablehnung einander gegenteilig sind, sind die damit verbundenen Mechanismen zur Erzeugung von Leid sehr ähnlich.
Es geht uns zum Beispiel schlecht, wenn das eintritt, das wir ablehnen. Außerdem haben wir Angst vor dem Eintreten dessen, was wir ablehnen.
Und auch hier gilt, ein Pakt mit dem Teufel ist einem glücklichen Leben nie zuträglich.
Kommen wir kurz zurück zu unserem kleinen Beispiel vom unzufriedenen Chef.
Nachdem wir einmal richtig von unserem Vorgesetzten angebrüllt und runtergemacht wurden, wollen wir auf keinen Fall, dass diese leidvolle Erfahrung sich wiederholt.
Wozu führt das? Vielleicht Angst vor dem nächsten Zusammentreffen mit dem Chef, Angst vor seiner Person allgemein, oder gar Angst vor dem Verlust unseres Arbeitsplatzes mit allen möglichen Konsequenzen. Angst mündet oft auch direkt in den Hass.
Die Wahrheit ist aber, derartige unangenehme Situationen lassen sich im Leben nicht dauerhaft verhindern. Lernen wir, sinnvoll damit umzugehen.
Oft ist unser „Ich will nicht“ auch eng mit dem Thema Verlust verbunden. Was wir wertschätzen, wollen wir nicht verlieren. Der Verlust materieller Güter mag ärgerlich sein, richtig existentiell wird das Leid aber meist beim Verlust von Beziehungen zu geliebten Menschen.
Die Realität ist aber, alles was einen Anfang hat, findet auch irgendwann sein Ende. Nichts währt ewig.
Wir können unsere Schätze noch so gut behüten, es gibt keine Sicherheit vor einem plötzlichen Verlust.
Anstatt all unsere Energie in Sicherheitsmaßnahmen fließen zu lassen und trotzdem von Verlustängsten umgetrieben zu werden, sollten wir lernen, sinnvoll mit dem Thema Verlust umzugehen. Nur dann bleibt uns Leid erspart. Die Wahrheit ist, Verlust lässt sich im Leben nicht verhindern.
Außerdem ist klar: sind Ablehnung und Angst vor Verlust so groß, dass sie zu handfestem Hass werden, dann ist ein glückliches Leben unmöglich.
Kommen wir damit zur dritten Wurzel des Leidens, der sogenannten Verblendung, manchmal auch als Unwissenheit bezeichnet.
Der etwas altertümliche Begriff der „Verblendung“ steht dabei gleichzeitig für mehrere Formen der Unwissenheit.
Die am weitesten verbreitete Form der Verblendung besteht darin, die Realität mit einem selbst erdachten „Phantasiekonstrukt“ zu verwechseln. Davon ist quasi jeder Mensch betroffen, die tatsächliche Realität kennen wir nämlich äußerst selten.
Um uns in unserer Umwelt zurecht zu finden, sind wir daher quasi darauf angewiesen, uns ein „Bild der Realität“ zu machen. Das Problem dabei: wir sind uns dessen in keiner Weise bewusst.
Wir glauben, dass das Bild, dass wir uns von der Realität gemacht haben, tatsächlich die Realität ist. Dadurch können beliebig unangenehme Situationen entstehen.
Schwierig wird es zum Beispiel dann, wenn wir mit einem völlig falschen Selbstbild unterwegs sind.
Man kann zwar leicht den Eindruck gewinnen, dass z.B. in der heutigen Berufswelt gerade die Menschen, die sich selbst für die Allergrößten halten (obwohl sie tatsächlich bestenfalls mit durchschnittlichen Fähigkeiten gesegnet sind) auf der Gewinnerstraße unterwegs sind. Es ist allerdings auch davon auszugehen, dass keiner von ihnen dauerhaft glücklich ist. Ihr Leid entsteht dann, wann immer ihnen die Diskrepanz zwischen ihrem übersteigert positiven Selbstbild und der Realität vor Augen geführt wird. Die Resultate sind Wut, Kränkung, Misstrauen, etc.
Ähnlich problematisch ist natürlich auch ein unrealistisch negatives Selbstbild.
Auch die Fehleinschätzung unserer Mitmenschen bietet großes Potential zur Entstehung von Leid. Gerade wenn wir einen Menschen attraktiv finden, vielleicht sogar in ihn verliebt sind (hier kommt oft auch das Thema Gier mit ins Spiel), neigen wir dazu, uns ein übersteigert positives Bild dieses Menschen zu kontruieren. Oft bedarf es erst einer gehörigen Portion Leid, um zu erkennen, um was für eine Person es sich dabei wirklich handelt.
Umgekehrt fürt es uns auch ins Leid, wenn wir uns ein übersteigert negatives Bild anderer Personen machen, vielleicht aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder ihres Aussehens. Das Resultat ist allzu oft Wut und Hass, aber auch Angst.
Natürlich ist das Thema Verblendung nicht nur auf die Fehleinschätzung von Menschen (uns selbst eingeschlossen) limitiert.
Auch die Fehleinschätzung sachlicher Gegebenheiten kann problematisch sein.
Unter Verblendung verstehen wir also unter anderem die gedankliche Vertauschung von Realität und Phantasie. Um so weiter das „Phantasiekonstrukt“ in unserem Kopf dabei von der Realität abweicht, desto wahrscheinlicher resultieren daraus Probleme, wenn uns dies nicht bewusst ist.
Aber wie entkommen wir dieser Wurzel des Leids?
Indem wir uns immer wieder bewusst machen, dass wir die Realität in den meisten Fällen nicht kennen, ja garnicht kennen können, dass wir nur eine Vorstellung davon haben, wie die Realität sein könnte.
Dies betrifft selbst die gebildesten Zeitgenossen.
Auch die moderne Naturwissenschaft weiß z.B. nicht wirklich was ein Atom ist. Über hunderte Jahre haben sich kluge Naturwissenschaftler ein Atommodell erarbeitet, von dem sie stets glaubten dass es die Realität beschreibt, solange bis jemand ein physikalisches oder chemisches Experiment machte, dessen Ausgang sich durch das bisherige Atommodell nicht beschreiben ließ. Dann musste das Modell überarbeitet werden, ein vermutlich nie endender Prozess….
Die Wahrheit ist: Niemand weiß wirklich was ein Atom ist. Ein guter Wissenschaftler muss sich dessen bewusst sein.
Es ist völlig in Ordnung, etwas nicht zu wissen. Und es ist völlig normal und notwendig, sich sein eigenes gedankliches Bild der Realität zu machen.
Mann sollte sich aber immer vor Augen halten, dass das eigene Bild der Realität fast immer ungenau und fehlerhaft ist. Wenn uns dies stets bewusst ist, dann verursacht unser Unwissen kein Leid.
Es gibt aber auch noch eine weitere Seite der Verblendung: Verwirrung, die Unfähigkeit Entscheidungen zu treffen, das nicht-wissen was richtig und was falsch ist. Wer grundsätzlich nicht dazu in der Lage ist, im richtigen Moment eine Entscheidung zu treffen, oder wer sich ständig umentscheidet, seine Entscheidungen anzweifelt, der hat es schwer.
Was hilft uns in Momenten der Verwirrung die richtige Entscheidung zu treffen? Zum einen die Klassifizierung der möglichen Optionen in „Gut“ und „Böse“ (hier sei auch auf den im folgenden beschriebenen „achtfachden Pfad“ verwiesen). Wenn wir anderen bewusst schaden, um unsere Ziele zu erreichen, wirft uns dies massiv zurück, auf dem Weg zum dauerhaften Glück. Eines muss diesbezüglich aber erwähnt werden: Mitmenschen, die uns schaden wollen, Grenzen zu setzen, ist durchaus legitim, solange es uns gelingt dabei innerlich frei von Hass zu bleiben. Wollen uns andere in unserer Entscheidung beeinflussen, sollten wir deren Beweggründe gründlich hinterfragen. Nicht alle Ratschläge unserer Mitmenschen sind nämlich tatsächlich hilfreich. Hierbei hilft uns die Lehre des Gautama Buddha. Stecken hinter den Ratschlägen unserer Mitmenschen eventuell deren Gier, Hass oder Verblendung?
Letztenendes Bedarf es Vertrauens um die Verwirrung abzustreifen, Vertrauen in die Lehre Buddhas. Der Buddha erklärt uns, auf welche Weise Leid entsteht. Der Weg, der zur Auflösung des Leids führt, ist der richtige.
Fassen wir zusammen:
In der zweiten edlen Wahrheit erklärt uns der Buddha, auf welche Weise Leid entsteht. Wenn wir uns von unserem Leid befreien wollen, müssen wir jeden unserer Gedanken, jedes unserer Worte und unsere Taten überprüfen. Wenn wir dabei Gedanken und Muster erkennen, die gemäß der Lehre Buddhas ins Leid führen, dann sollten wir uns an dieser Stelle verbessern.
Die dritte edle Wahrheit enthält eine äußerst frohe Botschaft. Auch wenn es im Geburtenkreislauf kein Leben ohne Leid gibt, so ist doch der Zustand dauerhaften Glücks für jeden erreichbar. Hierzu muss man erkennen, auf welche Weise das Leid entsteht und dann Schritt für Schritt alle Leid verursachenden Denkmuster und Verhaltensmuster ablegen.
In dem Moment, in dem man dieses Ziel erreicht, scheidet man aus dem Geburtenkreislauf aus. Man befindet sich dann in der Gesellschaft jener, die das Nirvana erreicht haben.
Laut der vierten edlen Wahrheit ist der Weg zum Nirvana der sogenannte „achtfache Pfad“.
Fortsetzung folgt…